Willkommen in Testosteroncity
King George die neue Herausforderung
Morgennebel der besonderen Art
Also, als wesensfester … hüstel … Retriever hat man es in unserem Vorstadtring nicht gerade leicht. Wir haben in unserer Wohnstraße, im Verhältnis zu normalen Wohngebieten, eine ungewöhnlich hohe Rüdendichte. Wenn man zeitig, also so gegen 5.30 Uhr morgens aufsteht, kann man beobachten, wie anstatt der ortsüblichen Nebelschwaden, kleine Testosteronwölkchen über die Wiesen wabern.
Ich habe mal durchgezählt, es wohnen mehr als 15 Rüden in unserer Straße. Am Ostende unseres Ringes wohnt und herrscht Enrico C., ihr wisst schon, der große Schweizer mit dem abrissbirnengroßen Schädel. Über ihn habe ich ja schon mehrfach auf meinem Blog berichtet, zuletzt HIER.
Das Gebiet am Westende unseres Ringes beanspruchen Dobermann Rudolf und Beagle Oskar gleichermaßen. Was in regelmäßigen Abständen zu Grabenkämpfen epischen Ausmaßes führt, weil auch noch Foxi der Yorkshire Terrier und der italienische Zuwanderer Luigi dazwischen wohnen, und auch ein Wörtchen mitreden wollen. In der Regel wird dann ein Besuch unserer Tierärztin auf Rädern erforderlich.
Der König und sein Reich
Heute erzähle ich Euch aber mal von George, dem kleinen Westhighland Terrier aus Nummer 17d. Ich nenne ihn auch liebevoll den hysterischen Idefix. Er wohnt in der Mitte der Siedlung, im Eckhaus am Kinderspielplatz, was es ihm offenbar sehr schwer macht, sich zu entspannen. Denn es ist in einer Ringstraße nun einmal nicht zu vermeiden, dass ab und an ein paar Autos oder Fahrradfahrer vorbeifahren, eine Gruppe Kinderwagen-Muttis mit ihren Dreirad-Profis auf dem Weg zum Spielplatz vorbeidümpeln, oder eben auch Menschen mit anderen Hunden an seiner Grundstücksgrenze entlang schlendern.
Grenzverletzungen werden nicht geduldet
Für King George ist das allerdings eine Majestätsbeleidigung. Der Begriff Terrier leitet sich in seinem Fall vom Wort territorial ab. Will sagen, alles was atmet hat aus seiner Sicht einen Mindestabstand von zirka einem Kilometer zu seiner Grundstücksgrenze einzuhalten. Ein Wunsch, den wir ihm in einer Reihenhaussiedlung nur schwerlich erfüllen können.
Sehr zum Leidwesen des Westis, sind weder die menschlichen Bewohner, noch ihre tierischen Begleiter bereit, sein Herrschaftsgebiet freiwillig zu verlassen. In diesem Punkt sind sich sogar Hunde und Katzen einig.
Moni hat alles im Griff – außer George
„George der Einzige“ ist nun schon sechs Jahre lang der Monarch des Flurstücks 5698. Oder anders ausgedrückt, er wohnt bei einer Lehrerfamilie. Die Frau ist Religionslehrerin und managt neben ihrem Job noch drei sehr lebhafte Kinder und ihren total vertrottelten Mann Helmut. Dass Georges Erziehung dabei auf der Strecke geblieben ist, muss man ihr verzeihen.
Helmut ist Chemielehrer am örtlichen Gymnasium. Ich mag mir gar nicht vorstellen welcher Gefahr die Kinder der Sekundarstufe ausgesetzt sind, wenn Helmut eine chemische Versuchsanordnung im Schullabor konzipiert. Es scheint ihm koordinativ ja schon Schwierigkeiten zu bereiten, die Schnürsenkel seiner Turnschuhe zuzubinden, bevor er mit George an der Rollleine, seine Runde zieht.
Wir machen uns unsichtbar
In der Regel vermeiden Finley und ich, den Weg neben Georges Grundstück. Manchmal aber, so wie neulich, versuchten wir uns vorbei zu schleichen. Finley schnupperte, betont gelangweilt, an den Blümchen der Vordergärten auf der anderen Straßenseite und ich gab mir alle Mühe, eine Aura der Harmlosigkeit um mich herum zu erzeugen. Wir hatten schon fast die Hälfte der Strecke geschafft, da entdeckte ich ihn. King George der Einzige hockte an der Seitenpforte und starrte uns an. „Wir gehen einfach weiter“, flüsterte ich Finley zu. Finley, schnupperte also weiter und observierte den Westi im Augenwinkel.
Der King zeigt seine Zähne
Im allerletzten Moment, wir waren quasi schon fast weg, legte George los: „Wauwauwau … haut ab, ihr Mistkäfer … wuffffwuffff … ich bin hier der Chef … jauuulknurrrr … kniet nieder, ihr Schmeißfliegen … weffffweeeeffweeefff … ich mach euch fertig …“ Je hysterischer und höher sein Ton wurde, desto hektischer und ungebremster wetzte er an seiner Zaungrenze auf und ab. Er sprang an der Pforte hoch, fletschte die Zähne und knurrte. Finley blieb bei der ganzen Show erstaunlich ruhig, ab und an mal ein reduziertes Knurren oder Wuffen: „Reg‘ dich mal ab, Kleiner …“, schien er zu sagen. Ich hatte ihm mühsam beigebracht, dass alles, was hinter einem Zaun stattfand, für uns keine reale Bedrohung bedeutete.
King George büxt aus
Tja, und dann änderte George der Einzige die Bedingungen. Er zwängte sich unter der Pforte hindurch, und kam in äußerst schlechter Stimmung auf Finley und mich zugeschossen. Dann bremste er ab, kläffte und knurrte und lief die halbe Strecke wieder zurück. Allerdings nur, um Anlauf zu nehmen für den nächsten Angriff. Ich hatte inzwischen die Leine losgelassen, denn in solchen Situationen bin ich für Chancengleichheit. Wenn ein kleiner Hund wie George sich aufführt, wie ein schlecht erzogener Rottweiler, dann ist mir der Größenunterschied piepegal.
Finley macht die Waffen klar
Finley stand noch immer an seinem Platz, allerdings schien es für ihn an der Zeit zu sein, dem wilden George zu zeigen, dass er sein Gebiss auch dabeihatte. Von Helmut oder Moni, seiner Frau war nichts zu sehen. Ganz anders die übrigen Nachbarn. Die standen in ihren Vorgärten, zwei hatten sich sogar Klappstühle hingestellt und setzten sich. Ich kam mir ein bisschen vor, wie ein Kämpfer in einer Arena. Die Zuschauer wollten etwas geboten bekommen. Und sie bekamen etwas geboten.
Typisch Lehrer – voll die Übersicht…
Denn in dieser Sekunde kam Helmut um die Ecke geschossen und rief verwirrt: „Was ist … wo ist … Georgiiiiiie … was machst du da … stehen bleiben … sofortsteheeeenbleeeeiiiiiibeeeeeen!“
Als Helmut merkte, dass sein Georgie so gar nicht auf ihn reagierte, fackelte er nicht lang. Der einmeterneunzig große Hühne nahm Anlauf, sprintete auf seinen Hund zu, sprang ab, hob ab und landete mit einem formvollendeten Touch down auf seinem Hund. Mir blieb der Atem stehen und Finley ging es offensichtlich genauso.
George, der Erfinder des Pressed Breathing
Ich war fast erleichtert, als sich George unter der Halsbeuge seines Herrchens hervorarbeitete und seinem Unmut weiterhin freien Lauf ließ. Helmut klemmte sich das zappelnde Tier unter den Arm, und ging wieder in Richtung seines Gartens. Kurz vor der Pforte drehte er sich um und rief Finley ungelogen zu: „So einen kleinen Hund zu erschrecken – schäm dich!“
Tja, so kann man den ganzen Auftritt natürlich auch interpretieren. Das war ganz sicher einer der Momente, in denen sich eine Entgegnung nicht lohnte. Ich zuckte mit den Schultern und schaute ratlos ins Publikum. Einige winkten ab, die Nachbarn sprachen durcheinander, „Das ist immer so mit denen … nie ist der Schuld … unverantwortlich … da passiert noch mal was … Finley, den hättest du dir ruhig mal vornehmen können…“. Ähm nein, dachte ich still, gut dass du das nicht gemacht hast Finley.
Manchmal hilft Reden – zumindest für eine Weile
Etwas später habe ich noch einmal bei Moni und Helmut geklingelt. Wir haben dann besprochen, wie wir das in Zukunft handhaben wollen, wenn wir uns im Wald treffen, und ich habe versprochen, die Westkurve unseres Ringes nur noch ohne Finley zu begehen. Seitdem ist es zwar nicht friedlicher geworden aber immerhin sicherer. Auch wenn ich finde, dass irgendwer dem Helmut mal die Sperrfunktion seiner Rollleine erklären sollte. Aber davon erzähle ich Euch mal ein anderes Mal.
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