Der Hund ist immer dabei…
So ein unnötiger Stress
Ein Mythos der Hundewelt, der gerne propagiert wird ist, dass man nur dann einen wesensfesten, gut erzogenen Hund hat, wenn man ihn ausnahmslos überall hin mitnehmen kann. In der Vorstellung der Hardcore-Verfechter dieses Mythos, muss sich jeder Hund in jeder Situation ruhig und gefasst geben. Er darf sich durch nichts ablenken lassen, weder durch Geräusche, Wurst oder andere Hunde. Er sollte nicht bellen, nicht vor Freude, nicht vor Aufregung – aus keinem Grund.
Ein Konzept für Musterschüler
Ich habe mich immer gefragt, wie dieser doch sehr überzogene Anspruch entstehen konnte. Dieses kompromisslose Einfordern von Kadavergehorsam, ohne auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten des einzelnen Hundes zu achten, läuft mir total gegen den Strich. Ich finde es ganz normal, dass es Situationen gibt, in denen sich Hunde so unwohl fühlen, dass sie nicht in der Lage sind, sich wie Musterschüler aufzuführen.
Läuft etwas schief, ist es meiner Meinung nach, die Aufgabe ihrer Menschen herauszufinden, woran es liegen könnte und anschließend die Situation zu ändern. Es muss doch die Frage erlaubt sein, ob die Situation sich durch Training verbessern lässt, oder ob es nicht sinnvoller wäre, den Hund zu bestimmten Veranstaltungen, Einladungen oder Seminaren nicht mitzunehmen.
Zwei Schäferhunde im Kofferraum
Neulich hatten Finley und ich eine Begegnung, die genau diesen Konflikt widerspiegelte. Es war die letzte Runde am Tag, ich hatte viel gearbeitet und Finley hing auch ein wenig durch. Wir schlenderten durch unsere Wohnstraßen, an den geparkten Autos vorbei. Finley machte pflichtbewusst sein Abendgeschäft, welches ich ebenso pflichtbewusst wieder entfernte.
Dann passierten wir einen schwarzen Kombi. Als wir etwa auf gleicher Höhe waren, geschah es. Im Kofferraum dieses Kombis saßen zwei weiße Schäferhunde, sahen uns und rasteten komplett aus. Die zwei schaukelten sich gegenseitig hoch und bellten sich die Seele aus dem Leib.
Straßenklopperei in der Vorstadt
Ich versuchte Finley so ruhig wie möglich zu halten, was leider nur bedingt gelang. Die zwei Weißen hatten uns einen gehörigen Schrecken eingejagt. Ich nahm meinen Jungen etwas kürzer an die Leine und gab ihm den Befehl „Weiter“. Er war zwar total angespannt, gehorchte aber widerwillig. Wir waren schon zwei bis drei Meter von dem Kombi entfernt, da hörte ich plötzlich ein Knarren. Ich drehte mich um und sah, wie die Heckklappe langsam hochklappte und beide Rüden – immer noch stinksauer – aus dem Wagen sprangen.
Der Halter war weit und breit nicht zu sehen. Die zwei Schäferhunde verloren keine Zeit und stürzten auf uns zu. Der ältere Rüde schmiss sich auf Finley und nullkommanix hatten wir die schönste Straßenprügelei. Ich versuchte den anderen Rüden zu blockieren, der rammte mich mit voller Wucht und ich fiel hin. Keine Glanzleistung von mir, das muss ich wohl zugeben. Damit der Bursche nicht auch noch auf Finley losging, packte ich ihn am Nacken und drückte ihn mit meinem ganzen Gewicht an den Boden. Ich will mir gar nicht vorstellen müssen, was die Nachbarn gedacht haben müssen, als sie das alles beobachtet haben.
Manchmal braucht es klare Worte
Endlich erschien auch der Halter der beiden Schäferhunde auf der Bildfläche. Er donnerte los: „Lassen Sie meinen Hund los, Sie tun ihm ja weh!“ Ich konnte mich leider nicht mehr beherrschen. Mein inneres Ooohhhmm lag hyperventilierend auf dem Kiesweg.
ICH: „NA? AUCH SCHON DA? Sind Sie eigentlich irre, Ihre Hunde bei offener Heckklappe, unbeaufsichtigt im Auto zu lassen?“
Der Schäfi-Halter blickte auf seine Hunde, die sich mittlerweile nicht mehr rührten, und sagte gönnerhaft: „Na, das ist ja noch mal gut gegangen. Sie können weitergehen.“
WHAT? Ich guckte an mir herunter – die Hose schlammig, meine Beine total verschrammt. Immerhin waren die Hunde tatsächlich unverletzt geblieben.
Wessen Bedürfnisse werden hier erfüllt
Ich fragte den Kombifahrer noch einmal, warum er seine Hunde denn im Auto gelassen habe. Er erklärte mir daraufhin, dass er Freunde besucht habe, und sich deren irische Wolfshündin mit seinen Rüden nicht vertrüge. Weil alle Beteiligten das wüssten, seien seine Hunde im Kofferraum des Wagens geblieben. Und weil er sie nicht ohne frische Luft zurücklassen wollte, habe er die Heckklappe nur angelehnt. Und dann sagte er: „Das ist denen egal, Hauptsache sie dürfen mit.“ Ja, nee is‘ klar….
Ehrlich gesagt fand ich seine Erklärung höchst unbefriedigend. Wenn ich weiß, ich fahre zu Leuten, die auch einen Hund haben und meine Hunde sich mit diesem Hund nicht verstehen, wieso ist dann das Heck meines Kombis die beste Lösung? Ich würde meine Hunde doch lieber die zwei bis drei Stunden zuhause lassen, wo sie sich auf ihrem Lieblingsplatz herumlümmeln könnten. Letztlich sollte die Frage, was am besten für den Hund ist, über die Vorgehensweise entscheiden.
Hunde sind auch nur Menschen…
Natürlich muss man es nicht einfach so hinnehmen, dass ein Hund mit bestimmten Situationen nicht klarkommt. Es ist wichtig, diese Situationen, Restaurantbesuche, Bahnfahrten, Stadtbesuche u.s.w. mit dem eigenen Hund zu üben. Je besser er mit den Gegebenheiten auf den meisten Terminen klarkommt, desto einfacher ist das Zusammenleben mit ihm.
Aber Hunde sind eben auch nur Menschen, natürlich nur im übertragenen Sinn. Sie haben ihre Vorlieben und Abneigungen. Es ist nicht immer möglich, ihre Nervosität oder aufkommende Hektik so weg zu trainieren, dass sie sich in den betreffenden Situationen wirklich wohl fühlen. Dann darf man, wie ich finde, abwägen. Wie wichtig ist es für meinen Alltag, dass mein Hund das mit mir macht?
Warum man uns so selten auf Hundeplätzen findet
Genau diese Überlegung hat für Finley und mich dazu geführt, dass wir nicht mehr auf Hundeplätzen trainieren. Von Anfang an tat er sich mit der Situation dort schwer. Das eigentliche Training war okay, aber die Zeit davor und danach, machten ihm zu schaffen. Bevor das Training losging, kam das Vereinsleben zum Zuge. Die Menschen standen zusammen, klönten und tranken Kaffee. In dieser Zeit, so war es jedenfalls auf fast allen Plätzen, die wir besucht hatten, liefen die Hunde frei und durften „miteinander spielen“.
Für Finley bedeutete diese Zeit vor dem Training hochgradigen Stress. In dem Zeitraum, in dem Herrchen und Frauchen ihre eigenen sozialen Kontakte pflegten, waren die Hunde oft nicht optimal beaufsichtigt. Manchmal hatten die Tiere bis zu einer Stunde Zeit, sich allein miteinander zu beschäftigen. Ihr könnt Euch denken, dass da viel Konfliktpotential entstehen konnte. Konflikte, die aufkamen, wurden entweder schöngeredet oder aber auf ganz abstruse, angeblich „fachmännische Art“ interpretiert.
Anleinen? Wir doch nicht!
Die Hunde anzuleinen und so die Situation zu kontrollieren, war in diesem Umfeld verpönt. Kam Finley mit der Situation nicht klar, musste ich ihn im Kofferraum „parken“. Bei Licht betrachtet, war das eine Maßnahme, die seinen Stress-Level sicher nicht positiv beeinflusste. Die anderen Hunde konnten ungehindert bis an das Auto heranlaufen und quasi durch die Scheibe weiter mobben. Oder ich stellte mich davor und versuchte die anderen Hunde auf Abstand zu halten – Entspannung geht anders.
Es geht auch anders
Ich hörte immer wieder „das muss er lernen“, „der ist doch selber Schuld“, „der kommt schon klar“, „der muss kastriert werden, wenn die Glocken nicht mehr läuten, gibt sich das“… Fachkompetente Ratschläge hören sich anders an. Irgendwann hatte ich das satt. Ich traf die Entscheidung, dass ich Finley diesen Situationen nicht mehr aussetzen wollte. Dummysport konnten wir auch anders betreiben.
Heute gehen wir zweimal in der Woche ins Gelände, mal mit anderen Hunden, mal ohne Begleitung. Ohne dieses besondere Hundplatz-Ambiente bleibt Finley anderen Hunden gegenüber entspannt. Auf unseren Spaziergängen hat er genügend Hundekontakte. Er freut sich auf das Training, und kann es von der ersten Minute an genießen. Im Ergebnis verzichten wir also auf nichts, wenn wir nicht mehr auf den Hundeplatz gehen. Und Finley findet es völlig in Ordnung so. Seit er nicht mehr zu jedem Seminar mitkommen muss, ist er viel relaxter bei den Gelegenheiten, bei denen er mich begleiten darf.