Vom Anti-Mobilsten zum Kilometerfresser – Berg und Tal Report 1
Totalverweigerung ist keine Lösung … sagt Frauchen
Als wir morgens zum Urlaubsbeginn vor unserem vollgepackten Auto standen, war noch gar nicht sooo klar, ob wir einfach einsteigen und abfahren können. Denn Finley hasst es Auto zu fahren und zwar mit Inbrunst. Vor zwei Jahren hat er aus für uns nicht nachvollziehbaren Gründen den Fahrbetrieb eingestellt. Jede kleine Strecke wurde zur großen Katastrophe. Ich war echt froh, dass unsere Tierärztin fußläufig zu erreichen ist. Und dieses Mal lagen 1.200 KM vor uns – eine ganz andere Hausnummer.
Weil ich unsere Verwandten gerne einmal wiedersehen wollte aber es gleichzeitig für mich überhaupt nicht in Frage kam, Finley zuhause fremdbetreuen zu lassen, musste ich mir also etwas einfallen lassen. Anfangs war es so schlimm, dass es Finley nicht einmal möglich war an meinem Auto ruhig vorbeizugehen. Er scheute jedes Mal wie in hochgezüchteter Araberhengst und ich hatte alle Hände voll zu tun, Ihn wieder zu beruhigen.
Steiermark wir kommen … vielleicht, eventuell, unter gewissen Umständen
Also hatte ich zum Jahresbeginn einen Plan entwickelt. Aus Finley dem Anti-Mobilisten sollte Finley der Kilometerfresser werden. Dem Versuch, Finley zum idealen Beifahrer zu machen, stand jetzt nichts mehr im Weg, außer vielleicht Finley selbst. Natürlich nutzte ich nur gaaaanz saaanfte Methoden und – wie sagt man so schön – war liebevoll und konsequent. Mein Heckklappen-Wiedereingliederungs-Programm für bocklose Retriever-Rüden startete.
Ich holte also den Clicker aus der Mottenkiste und tackerte die Leckerlitasche an der Hüfte fest. Zuerst gingen wir einfach immer wieder an unserem Auto vorbei. Jeden Entspannungsmoment in der Nähe des Autos belohnte ich mit einem Klick und einem Keks. Ohne Leckerchen haperte es anfangs noch ein wenig aber das haben wir dann später auch hinbekommen.
Verbinde die Abneigung mit einer Aufgabe, die Spass macht
Im nächsten Schritt habe ich Finley immer dann mit zum Auto genommen, wenn ich etwas einpacken wollte oder etwas ins Haus bringen wollte. Er bekam etwas zum Tragen und wir packten es dann in den Kofferraum. Er sollte sehen, dass zum Auto gehen nicht zwangsläufig bedeuten würde, dass er auch fahren müsste. Auch das hat wieder etwas mehr Entspannung gebracht. Den Clicker hatten wir dann relativ schnell wieder in die Schublade gepackt, denn ich hatte das Gefühl, dass Finley so besser auf mich achtete. Ich will hier gar nicht im Einzelnen erzählen, welche Stationen wir noch durchlaufen haben und welche Rückschläge es gab. Nur soviel – Demut ist eine Tugend.
Die Eine-Millionen-Euro-Frage: Warum zum Donnerdrummel tut er das?
Was mich aber während der gesamten Trainingsphase beschäftigte, war die Frage nach der Ursache von Finleys Verhalten. Ich hatte mich gedanklich total darauf versteift, dass ich nur erst einmal wissen müsste warum Finley sich so bockig verhielt und dann würde mir die richtige Strategie schon einfallen. Das große Problem war, dass ich nicht wusste warum Finley sich so verhielt. Übrigens bis heute nicht. Auf einem Fortbildungsseminar von Udo Gansloßer erzählte ich davon und auch davon, dass unser Trainingserfolg stagnierte (freundlich ausgedrückt). Dann fragte Udo Gansloßer wie alt Finley sei und wann er das Autofahren eingestellt habe. Ich antwortete wahrheitsgemäß, er sei 9 Jahre alt und wäre seit gut zwei Jahren in kein Auto mehr eingestiegen.
Danke +++ Danke +++ Danke +++ Danke +++ Danke
Udo Gansloßer berichtete, dass Hunde, wenn sie älter werden um das sechste oder siebente Lebensjahr herum genau das tun würden, was Finley gerade tat. Sie stellen die Tätigkeit, die sie ohnehin am meisten hassen einfach ein. (Stark vereinfacht wiedergegeben) Und zwar ohne, dass es irgendein einschneidendes Ereignis gegeben hätte. Wichtiger als eine Trainingsstrategie sei, dass man die Beziehung zum Hund stärke, damit er das Gefühl entwickele, dass er das was man möchte gerne für einen machen möchte. Außerdem sei es nötig dem Hund sehr klare und unmissverständliche Botschaften zu senden über das was man möchte. Das klang für mich total einleuchtend. Der Knoten im Kopf ging auf und ich relaxte ein bisschen.
Einfach nutzen, was man schon erarbeitet hat – simpel aber effektiv
Beziehungsarbeit und klare Kommunikation also … na bitte, dann eben so. Denn wenn man weiß, was der eigene Hund nicht mag, dann weiß man auch was er toll findet. Und nach neun Jahren Zusammenleben konnten Finley und ich auch gut miteinander kommunizieren. Finley wurde beschmust, beschäftigt und gebürstet. Vor dem Auto stehend achtete ich auf jeden Wimpernschlag meines Hundes. Versuchte er dem Auto auszuweichen, quittierte ich das mit einem kurzen NEIN. Zeigte er Ansätze einzusteigen, lobte ich ihn und ermutigte ihn. Vor allem aber ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen und machte durch meine Haltung unmissverständlich klar, dass ich nicht von dem Auto weggehen würde, bevor er dort eingestiegen war.
Steter Tropfen höhlt den … und so weiter und so weiter und so weiter
Und dann stieg er ein, manchmal blieb er sogar drinnen. Wenn er tatsächlich im Heck sitzen blieb und ich die Klappe schließen konnte, sprang ich mit Gejubel ins Auto und fuhr mit ihm zu einem der naheliegenden Seen und er durfte schwimmen gehen. Das machte ich so oft, bis er das Autofahren auch mit etwas Positivem verbinden konnte. Er hatte seine Abneigung vor dem Autofahren abgelegt. Na sagen wir mal, fast. Als unser Sommerurlaub gewissermaßen vor der Garagentür stand, war ich schon ein wenig aufgeregt. Würde Finley seine Scheu überwinden können? Alles war fertig, der Wagen stand aufgetankt auf dem Parkplatz, der Dachkoffer war voll bepackt, unsere Mädels saßen bereits auf der Rückbank und Finleys Platz im Heck war feudal ausgestattet mit Thermokissen und Kühlmatte. Wir standen davor und ich sagte „hopp“. Finley guckte sehr skeptisch, zögerte kurz und machte dann einen fulminanten Satz ins Heck. Dann legte er sich ab und ich konnte die Klappe schließen. Mein Herz pochte vor Erleichterung aber auch ein bisschen vor Stolz. Steiermark wir kommen! Alle!