Das Schleppleinen-Dilemma
Hundehalter! Eine verschworene Gemeinschaft
Wir lieben unsere Vierbeiner und genießen das Zusammenleben mit Ihnen. Begleitet von Vogelgezwitscher streifen wir mit Rex und Konsorten täglich durch Wälder, stiefeln mit Ihnen über Felder und Wiesen und butschern über die Strände heimischer Gewässer. Allein die Tatsache, dass wir Hunde haben, führt zu Begegnungen voller Wärme, gegenseitigem Verständnis und tiefer Seelenverwandtschaft. *säuselsäuselSüßholzraspel
Das jedenfalls, wäre der Idealfall. Bei objektiver Betrachtung, ergibt sich ein anderes Bild. Also genug geträumt, Augen auf und der Wahrheit ins Gesicht geschaut. Realistisch betrachtet sind es gerade die Hundehalter untereinander, die einander das Leben oft auf egoistische Weise unnötig schwermachen.
Neulich, zum Beispiel, begegneten Finley und ich zwei Frauen und ihren Hunden im Volksdorfer Wald. Mein Scan ergab folgendes Bild:
Frau Nummer1, nennen wir sie mal die Jagdliesl. Mitte vierzig, mit nagelneuer Barbour Jacke, Aigle Gummistiefeln und grünem Filzhut, „führte“ einen aufgeregten Weimaraner Rüden, zirka 35 Kilogramm Kampfgewicht. Und zwar an einer 20! Meter langen, neongelben Schleppleine. *jubel
Frau Nummer2, nennen wir sie hier mal die BegleitBabsi. Eingehüllt in eine wolldeckenähnliche Holzfällerjacke, hatte eine zirka 15! Meter lange, blaue Schleppleine in der Hand, deren zuckendes Ende im Dickicht verschwunden war, sodass ich mir von ihrem Hund vorerst kein Bild machen konnte. Die Zwei waren in ein Gespräch vertieft, welches nur ab und an durch einen heftigen Leinenruck unterbrochen wurde, ausgeführt von Henry (dem Weimi) und Zoeeeeh!-komm-jetzt-maaal (im Gebüsch).
Eine Absprache untereinander hätte es leichter gemacht
Meine Frage, „Wollen wir die Hunde lieber ableinen?“, verhallte ungehört in den Baumwipfeln. Was dann geschah, dauerte nur wenige Augenblicke und ist symptomatisch für solche Begegnungen. Cocker Spaniel Zoeeeeh!-komm-jetzt-maaal legte den Turbo ein und schoss laut pöbelnd aus dem Gebüsch heraus auf mich zu. Die BegleitBabsi hielt krampfhaft ihre Leine fest, was für mich bedeutete: Fußfesseln in fünf Nanosekunden. Ich ließ derweil vorsorglich meine Leine los. Finley sprang zur Seite und betrachtete sich das Kuddelmuddel aus gebührendem Abstand. Humor hat er ja … der Sack.
Zeitgleich gab die Jagdliesl ihrem Weimaraner die vollen 20 Meter Leine frei. Der, nicht faul, bretterte mit allem was er hatte auf mich zu, sprang hysterisch um mich herum, und schnürte mir meine Knie zusammen. Während ich mich nach unten beugte und versuchte die Fesseln zu lösen, erwischte der Silberling auch meine Arme.
Begleitet wurde das bunte Treiben von entnervend, schrillen Ausrufen wie „Ja, der Henry will spielen, der mag Sie“ (na klaaar), „Zoeeeh-sei-lieb“ (ne, steh still), „Böööseee-Zoeeeeeh“ (genau, gibs ihr), „Henriii-mach-Sitz!“ (guter Ansatz, aber Henri hustet uns was), „Apport-Henriii“ (ähm, wie bitte??), „Henriiiie, lauf mal andersrum, die Tante will nicht spielen!“ (echt jetzt?) ………. bis hierhin hörte man von mir nur ein gequältes Stöhnen.
Henri fing an, mich zu bepimpern. Finley schickte ein tiefes, sehr ärgerliches Knurren aus dem Off, dem wurde es jetzt zu drollig.
Mir platzte der Kragen
Ich atmete tief ein – sehr tief. „Klappe halten und zwar alle!!! PLATZ!!!! Sooofooorrrrrrt!!!!!!“, brüllte ich an, was um mich herumstand. Und? STILLE – ich blickte auf zwei eingeschüchterte Hunde im Platz, zwei empört dreinblickende Frauen und meinen Finley der mir seinen Na-haben-wir-jetzt-wieder-alles-im-Griff-Blick zuwarf. Die Leinen gaben nach und es gelang mir, sie abzuschütteln. Langsam ging ich auf die Jagdliesl und ihre Begleitbabsi zu.
„Das ist echt gefährlich, was sie da machen“, sagte ich mühsam beherrscht. „Ach, das ist doch alles nur Spaß“, entgegnete die Jagdliesel.
Ich atmete ein, mein inners Ohmmm tanzte inzwischen Zumba. „So, Sie hören mir jetzt BITTE einmal zu. Die Schleppleine heißt NICHT deswegen Schleppleine, weil ihr Weimaraner Sie damit so prima hinter sich herziehen kann. NEIN! Tut er das, ist das kein Teamwork, sondern ein Fluchtversuch!“ Die Zwei Grazien schnaubten entrüstet, murmelten etwas von „Unverschämtheit“ und „keine Ahnung“.
Aber ich nahm gerade erst Fahrt auf: „Und JA! auch mit einer 20 Meter langen Schleppleine müssen Sie in der Lage sein, Ihren Hund zu stoppen, wenn es nötig ist. Reißt Ihr Hund Ihnen die Leine weg, bedeutet das üben, üben, üben… für SIE, nicht den Hund! Außerdem würde es Ihnen eine kürzere Schleppe leichter machen. Warum? Das ist simple Physik. Kraft = Masse x Beschleunigung. Also im Klartext – je länger die Leine, umso mehr kann der Hund sein Tempo beschleunigen. Je größer und muskulöser der Hund, umso stärker wird die von ihm ausgeübte Kraft am Endpunkt der Leine. Es gilt also, je länger die Leine, desto härter der Ruck, desto schmerzhafter der Autsch-Moment.“ Mit hochrotem Kopf hielt ich inne.
Manche sind halt nicht zu erreichen
„SIE müssen uns nicht belehren, unsere Hunde sind gut erzogen“, entrüstete sich die Jagdliesel. Die BegleitBabsi nickt beflissen. Normalerweise hatte ich mir vorgenommen, auf diese Art von Ignoranz nicht mehr zu reagieren. Aber in diesem Moment hatte mein inneres Ohmmm seine Arbeit niedergelegt, mein Chi balancierte am Abgrund.
„Na klar“, entgegne ich, „Sie wissen schon alles, oder? Ich habe da ein paar Neuigkeiten für Sie. Eine Schleppleine dient nicht zur Kontaktaufnahme mit anderen Hundehaltern. Wenn sich Ihre Leine mehrfach um Beine und Hüfte Ihrer Zufallsbekanntschaft wickelt und ihr Gegenüber dabei auf die Knie zwingt, ist das ein bedauerlicher Unfall und keine unter Hundehaltern übliche Anmache!“
Eigentlich ist mir sowas wurscht, aber dieses Mal wollte ich wenigstens einen eleganten Abgang haben. Gar nicht so einfach, wenn die Beine schmerzen, als ob sie unter einen Bulldozzer gekommen wären. Aber Weimi Henriii und Zoeeeeh-Komm-mal-her! sei dank …..
„Übrigens, Ihre gut erzogenen Hunde sind gerade in den Wald abgehauen“, sagte ich beiläufig zu den beiden Frauen.
Die Jagdliesl schnaubte, die BegleitBabsi quiekte, Staubwolke, Abgang Dreamteam. Finley und ich hatten plötzlich total gute Laune und machten uns auf den Heimweg.
Und weit, ganz weit in der Ferne erklang ein schrilles „Zoeeeeh-komm-mal-her !!!!“.
Kleiner Nachtrag: Weil sich die Jagdliesl und die BegleitBasi von mir, aus unerfindlichen Gründen nicht fotografieren lassen wollten, haben meine Familie und ich die Szenerie so authentisch wie möglich nachgestellt. *augenzwinker
Meinen Töchtern gefiel besonders die oben zu sehende „Hangmann-Version“ ihrer Mutter. *kleineBiester O-Ton der Pubertiere: „Mit Dir abzuhängen, macht richtig Spaß, Mama!“