Deutschland sucht die Supernase
Eine Frau liegt zusammengekauert zwischen Trümmern und regt sich nicht. Plötzlich ein aufgeregtes, lautes Bellen. Die schwarze Schäferhündin Valeska schießt hinter einem Geröllhaufen hervor und bleibt vor der Verletzten stehen. „Jetzt bestätigen“, ruft eine Männerstimme. Das vermeintliche Unfallopfer richtet sich auf, und gibt der Hündin einen Dummy ins Maul und spielt mit ihr. Valeska hat es gut gemacht. Mit dem Spiel wird sie von ihrer Trainingspartnerin, „Unfallopfer“ Cornelia Godau, belohnt.
Internationales Starterfeld
Die Stimme aus dem Hintergrund gehört zu Detlef Kühn, Vizepräsident der Internationalen Rettungshunde Organisation (IRO). Er ist einer von sechs internationalen Leistungsrichtern, die vom 2. Mai bis zum 4. Mai in Bargfeld-Stegen die Leistungen von 85 Mensch-Hund-Teams bei der 9. offenen VDH Meisterschaft für Rettungshunde bewerten sollen. „Offene Meisterschaften heißt es, weil hier Hunde, die Rettungshundearbeit nur als Sport betreiben auf die Hunde aus Hilfsorganisationen treffen, die auch real im Einsatz sind“, erklärt Leistungsrichter Kühn. Neben den deutschen Starterteams sind für diesen dreitägigen Wettkampf weitere europäische Teams extra aus Dänemark, Holland, Tschechien, der Slowakei und der Schweiz angereist. Die Hündin Valeska tritt nicht zu den Meisterschaften an. Sie gehört Bärbel Dreisow, die als Ausbildungswartin der Ortsgruppe Bargfeld-Stegen vom Verein der Deutschen Schäferhunde (OG Bargfeld-Stegen) maßgeblich an der Organisation der Veranstaltung beteiligt ist. „Wir haben einfach keine Zeit zu starten. Das gilt für die gesamte Ortsgruppen-Truppe“, sagt die engagierte Frau. Sie alle seien als Helfer im Einsatz. Entweder am Kuchenbuffet, dem Grill- und Brötchenstand oder bei der Betreuung der Gäste. „Da können sich unsere Besucher zwischen den Prüfungsdurchgängen entspannen und erholen.“ Damit die Kinder sich nicht langweilen, stelle der THW an allen Tagen seine Riesenrutsche zur Verfügung.
Der Sport ist nicht ungefährlich
„Einige von unseren Helfern sind besonders mutig und assistieren bei den Prüfungen“, so Dreisow. So wie Cornelia Godau, die wieder das Opfer mimen wird. „Das ist nicht ungefährlich“, so Dreisow. In der Königsdisziplin „Nasenarbeit im Trümmerfeld“ würden Mauerreste, Betonteile, Gullideckel und alte Röhren aufeinander geschüttet. So entstünden Hohlräume im Geröll, in denen die Helfer sich verstecken müssen. Dort müssen sie ausharren, bis die Hunde sie gefunden haben. Manchmal mehrere Stunden lang. „Der Schutt ist bis zu vier Meter hoch aufgetürmt, liegt locker, ist statisch nicht extra abgesichert. So, wie es bei einem Erdbeben oder Gebäudeeinsturz eben auch wäre“, erklärt Dreisow. In der Umgebung von Bargfeld-Stegen hat die Ortsgruppe verschiedene Prüfungsgelände angelegt. „Wo das genau ist, wird erst am Tag der Prüfung preisgegeben. Dann kann niemand luschern gehen und sich einen Vorteil verschaffen“, sagt Bärbel Dreisow. „Unsere Hunde arbeiten mit der Nase, jeder Tritt mit einem Schuh hinterlässt Geruchsspuren. Wir nennen das Bodenverletzungen, Fremdspuren können da zu Irritationen führen.“
Unterordnung und Gewandtheit
Insgesamt werden fünf Disziplinen geprüft. Zuerst müssen alle Teams in den Fächern Unterordnung und Gewandtheit antreten. Dazu gehören die sogenannten Grundkommandos, Sitz, Platz, Steh, auf verschiedenen Untergründen mit und ohne Ablenkung, ohne zu zögern, auf nur einen Befehl hin. „Im Fach Gewandtheit geht es um Geschicklichkeit und Vertrauen. Da müssen die Hunde zum Beispiel über eine Leiter- oder Fassbrücke gehen“, sagt Cornelia Godau. „Ich zeige es ihnen“, sagt Bärbel Dreisow und geht mit Valeska auf den Trainingsplatz. Erwartungsvoll blickt die schwarze Hündin auf ihr Frauchen. Ein kurzer Befehl und Valeska macht einen dynamischen Satz auf den Steg der Brücke. Das Brett zwischen den zwei Fässern liegt nur lose auf, schwankt und wippt bei jedem Schritt, den Valeska macht. „Jetzt darf sie sich nicht irritieren lassen und muss sich weiterhin lenken lassen und die Übung zu Ende führen“, so Dreisow. Wenn die Starter die ersten zwei Fächer bestanden haben, teilen sie sich auf die weiteren drei Fächer auf. Die Disziplinen heißen Fährte, Fläche und Trümmer. Die Hunde müssen unter unterschiedlichsten Bedingungen durch Einsatz ihres hochsensiblen Geruchssinns Personen finden und ihren Hundeführern den Fundort eindeutig anzeigen. Dabei dürfen sie die Person weder erschrecken noch bedrängen. Bei der Flächensuche werden gleichzeitig, je nach Schwierigkeitsgrad, zwei oder drei Personen im unwegsamen Gelände gesucht. Bei der Fährte müssen die Hunde eine abgängige Person finden. Im Ernstfall könnte dies ein vermisstes Kind sein. „Die Hunde haben die Nase dabei immer dicht am Boden“, sagt Leistungsrichter Kühn. Die Witterung werde über die Trittspuren des Spurenlegers aufgenommen. „Auf der Strecke deponiert der Helfer Gegenstände wie Schuhe, Schlüssel oder eine Brille“, so Kühn. So könne der Hund den Gerüchen bis zum Fundort folgen.
Die Nase der Hunde ist ihr wichtigstes Werkzeug
Die Wettkämpfe beginnen an allen drei Tagen um 8 Uhr und enden gegen 18 Uhr. Treffpunkt ist der Sportplatz in Bargfeld-Stegen in der Schulstraße. „An der Jersbeker Straße werden Schilder stehen, die unsere Besucher zu uns führen“, so Dreisow. Am Sonntag wartet ein besonderes Highlight auf die Besucher. Um 14.30 Uhr zeigen die Zollhundeführer des Hamburger Hauptzollamtes, wie sie ihre Hunde im Schutzdienst und in der Rauschgiftfahndung einsetzen. Am Sonntagabend endet der Wettkampfmarathon in Bargfeld-Stegen mit den Siegerehrungen der besten Mensch-Hund-Teams.