Figaro, Figaro Vol.2 … Retriever-Cut vom Hundefriseur – ein Unfallbericht
Fegefeuer der Eitelkeiten
(Filmsatire 1990; James Cagney)
Quax, der Bruchpilot
(Komödie 1941; Heinz Rühmann)
Neulich hatte ich Euch ja von meinem ersten Versuch meinen wilden Kerl zu trimmen erzählt. Das Ergebnis war, sagen wir mal, semibefriedigend ausgefallen und ich hatte mir zuhause eine Menge Ärger dafür eingehandelt. Im Ergebnis hatte Finley ein Zickzack-Muster im Schweif – sehr akkurat durchgestuft – aber eben nicht dem Standard entsprechend.
Das Familiengericht, bestehend aus meinen zwei Töchtern Motte und Mausi, hatte mich dazu verurteilt, unseren Hund einer Hundefriseurin vorzustellen, sobald mein selbsterfundener Zickzack-Cut herausgewachsen war. Bis dahin war das Durchbürsten seines Fells das Höchste der Gefühle, was mir noch gestattet war. Ich war auf Bewährung. Die ganze Geschichte findet Ihr HIER.
Denn sie wissen nicht was sie tun
(Drama 1955; James Dean)
Finleys Fell brauchte etwa fünf Wochen, bis meine Schnippelsünden herausgewachsen waren. In dieser Zeit machte ich mich auf die Suche nach einem Hundefriseur, der Finleys Lockenpracht zu bändigen wusste. Die Internetrecherche ergab, dass es im Umkreis drei Hundefriseure zur Auswahl gab.
Direkt bei uns in der Vorstadt gab es den Salon „Ratzfatz“. Dessen Inhaber Stefan warb mit ein paar „Kundenfotos“ im Netz, die bei mir doch einige Zweifel an seiner Qualifikation hervorriefen. Auf einem dieser Bilder war ein ziemlich unglücklich dreinschauender Pudel zu sehen. In der Bildunterschrift hieß es optimistisch: „Peppi kann jetzt den Wind wieder spüren.“ Ich hatte hingegen den Verdacht, dass Peppi sich den Arsch abfriert und auf den Wind den er jetzt spüren konnte, ganz gepflegt pfeifen konnte. Ich endschied, dass „Ratzfatz“ zwar um die Ecke war aber trotzdem nicht unser neuer Hundesalon werden würde.
Dann war da noch der Hundesalon „Mona mit den Scherenhänden“ im angrenzenden Edel-Örtchen. Als Referenz gab die Coiffeurin an, „jahrelange Erfahrung im qualifizierten Umgang mit Hunden unterschiedlichster Haarlängen“ gemacht zu haben. Also das konnte wirklich alles oder nichts bedeuten. Ich rief an und fragte, ob sie schon mal das Fell eines Golden Retrievers gepflegt hatte.
Mona kicherte und sagte dann die bedeutungsschweren Worte: „Einen Retriiiifer nicht aber einen Rietreiwer schon. Das spricht man Rietreiwer aus. Natürlich habe ich einige davon die ich jedes Jahr schere…“
Nun unseren Finley sicher nicht. Soviel war, angesichts der totalen Absenz von Kompetenz schon mal sicher.
Das Schweigen der Lämmer
(Drama 1991; Jodie Foster/Anthony Hopkins)
Als Drittes erzählte man sich auf einer unserer Hundewiesen, dass es im angrenzenden Ammershausen* einen richtig guten Hundesalon gab. Die Friseurin hieße Anke und sei sehr erfahren im Umgang mit Hunden und die Ergebnisse ihrer Schnittkunst seien sehr zufriedenstellend gewesen. Zum Schutze der Anonymität der Protagonistin habe ich den Ortsnamen bis zur Unkenntlichkeit verändert. *augenzwinker
Also, sah ich mir die betreffenden Hunde auf der Wiese an und musste mir eingestehen, dass keiner wie Finley mit einem Zickzack-Muster im Schweif herumlief. Und Adressen, die man über Mund-zu-Mund-Propaganda bekam, waren ja schon immer die besseren Tipps – oder?
Ich rief also bei Anke an und machte einen Termin für Finley und mich. Es musste an einem Nachmittag sein, denn meine Tochter Mausi hatte es sich als Vorsitzende meines Bewährungsausschusses auserbeten, mitzukommen. „Vielleicht brauchst Du etwas Unterstützung“, hatte das Kind gesagt, von dem sein Kinderarzt einmal behauptet hatte, es müsse altersmäßig erst noch in seinen IQ hineinwachsen.
Haus aus Sand und Nebel
(Literaturverfilmung 2003; Ben Kingsley)
Wir fuhren also über die Stadtgrenze in Richtung Norden. Vorbei an einem großen See, der bei uns Hundeleuten ein sehr beliebtes Auslaufgebiet war. Gott sei Dank hatte ich Franziska, mein Navi dabei, denn wir verließen die befestigten Straßen und fuhren auf Schotter- und Waldwegen weiter. „In 200 Metern bitte rechts abfahren“, flötete Franzi mir von der Konsole zu. Die Gegend wurde immer einsamer. Im Rückspiegel sah ich wie mein Kind sich umschaute, dann sagte sie: „Maaan, das ist ja tote Hose hier. Wenn jetzt was schiefläuft, dann findet uns kein Schwein.“ „Ach was soll schon schieflaufen“, antwortete ich. Vielleicht war ich da eine Spur zu zuversichtlich gewesen.
In the Land of Blood and Honey
(Liebesfilm 2011; Angelina Jolie)
Ich bog rechts ab und am Ende des Weges standen wir vor einem alten weiß gestrichenen Siedlungshaus. Das Haus hatte einen viereckigen Vorbau, mit einem flachen Dach. In diesem Vorbau, der wohl früher mal ein Tante-Emma-Laden gewesen war, befand sich der Hundesalon. Über der hellblau gestrichenen Eingangstür hing ein Holz-Schild auf dem auf weißem Untergrund in großen pinkfarbenen Buchstaben das Wort „Fellmäuse“ zu lesen war. Das war offensichtlich der Name von Ankes Salon.
Überwältigt von so viel Kreativität und subtiler Werbekunst, stieg ich aus meinem Auto aus. Mausi und Finley folgten mir. Anke stürzte auf mich zu, hakte mich ein und flötete: „Willkommen bei den Fellmäusen. Wir machen das schon, was?“ Und in der nächsten Sekunde standen wir alle vier im „Behandlungsraum“. Anke plauderte indes munter weiter. Ihre Oma habe hier früher selbstgekochte Marmelade verkauft und was der Garten sonst noch so hergegeben hatte. Man hätte nach dem Krieg ja nichts gehabt und hätte aus Scheiße Gold gemacht, um die Familie durchzubringen. Äh, ja … tapfer die Omi …
Glaubensfrage
(Literaturverfilmung 2008; Meryl Streep)
Während Anke so plapperte, räumte sie schon mal die Gerätschaften zusammen, die sie gleich benutzen wollte. Ich sah ich mich inzwischen um. Der Innenraum war professionell ausgerüstet – soweit ich das überhaupt beurteilen konnte. In der einen Ecke stand eine Badewanne mit Seiteneinstieg und mitten im Raum ein Friseurtisch mit der Möglichkeit den Hund zu fixieren. An den Wänden standen zwei Regale, in denen unterschiedlichste Shampoos und andere Pflegemittel aufgereiht waren. Rechts daneben standen ein Tisch und zwei gemütliche Korbstühle.
Anke deutete auf die Korbstühle und sagte: „Das ist die Mutti-Ecke. Macht es Euch bequem.“ Ich unterdrückte die Bemerkung, dass wir Finleys Mutti gar nicht mitgebracht hätten und setzte mich. Anke stellte sich einen alten Gartenstuhl dazu und fragte: „Was soll denn gemacht werden?“ Ich atmete auf, denn endlich kam ich auch mal zu Wort. „Also Finley soll getrimmt werden. Das Fell soll dem Standard entsprechend geschnitten werden, nicht zu kurz. Also die Brust, der Schweif in Fächerform und die unteren Läufe und die Pfoten. Weißt Du, wie das bei den Golden aussehen muss?“
Lost in Translation
(Independentfilm 2003; Scarlett Johannsen)
„Na klar“, sagte Anke, sie sei regelmäßig Gast auf Hundeausstellungen. Sie wäre zum Beispiel in Cloppenburg, Rostock und Neumünster gewesen und habe sich bei diversen Züchtern schlau gemacht, wie so ein Retriever-Cut auszusehen hätte. Und: „Mit so einem sommerlichen Retriever-Cut, kann der Kleine die heiße Jahreszeit genießen.“ Okay, dachte ich, sie hat sich echt engagiert um vor Ort an die nötigen Kenntnisse zu kommen. Ich entspannte mich, blieb in der Mutti-Ecke sitzen und begann zu lesen.
Dann hörte ich dieses surrende Geräusch … Sssrrrrrr! Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich sah die Schermaschine in Ankes Hand und während ich „Nicht scheeereeeeennnn!!!!“ in den Raum brüllte, pflügte sie eine etwa 10 cm breite Schneise in das rotgoldene Rückenfell meines Jungen. Anke nahm das Gerät kurz hoch und sah mich verdutzt an. Sie verstand meine Aufregung nicht und ich verstand nicht, wie sie auf diese total bekloppte Idee kam, nachdem zuvor die Worte „Brust Einkürzen“ und „nicht zu kurz“ gefallen waren. Wo zum Henker lag da das Missverständnis? Der Fachausdruck „Retriever-Cut“ war offenbar frei interpretierbar, genauso wie der Begriff „Fachkraft“.
Zeiten des Aufruhrs
(Drama 2008; Leonardo DiCaprio)
Hinter mir gab meine Tochter ein paar Japser von sich, Tränen kullerten über ihre Wangen. „Mama“, sagte sie vorwurfsvoll, „das sollte doch so nicht, oder?“ „Ne, so nicht“, antwortete ich. Ich starrte fassungslos auf die Lücke auf dem Rücken meines Hundes. In dieser Schneise hätten meine Mädchen ganz bequem ihre Playmobil-Flugzeuge landen lassen können. Mir fiel nicht mal ansatzweise ein, wie ich das zuhause plausibel erklären sollte.
Ich stotterte: „Wir haben nicht aufgepasst … das hätten … das Du hast Du doch auch nicht gesehen, oder …“
Meine Tochter, die sich inzwischen ganz offensichtlich gefangen hatte, antwortete in sehr aufgeräumten Ton: „Du bist hier die Erwachsene. Du hättest das verhindern müssen. Ich muss mich nur erschrecken.“ Touchè, da hatte sie natürlich recht, die liebe Kleine.
Finley blieb bei der ganzen Sache erstaunlich ruhig. Für ihn schien das Ganze ein Riesenspass zu sein. Er hatte aber auch keine Augen am Hinterkopf und konnte den Schaden nicht sehen.
There will be Blood
(Fiktiondrama 2007; Daniel Day-Lewis)
Anke hatte offenbar immer noch nicht verstanden, dass sie Mist gebaut hatte und redete auf mich ein. In meinem Kopf begann es zu rauschen, ich nahm nur Wortfetzen wahr, sie redete und redete – wenn sie doch nur endlich mal den Mund halten würde. Ich merkte, wie in mir langsam aber stetig die Wut hochkochte. Mein inneres Ooohhmmm!!! meldete sich gerade noch rechtzeitig, bevor der Siedepunkt erreicht war: „Gaaanz ruhig, Birgit. Atme durch, das Fell wächst nach. Und jetzt, pack zusammen und nix wie weg da!“ Also atmete ich durch und tat – fast – wozu mein inneres Ooohhmmm!!! mir gerade geraten hatte.
„Anke, pass mal gut auf“, leitete ich das folgende ein. „Ich weiß ja nicht mit wem Du auf diesen Ausstellungen gesprochen hast. Golden-Retriever-Züchter können es jedenfalls nicht gewesen sein. Ein Golden wird NIEMALS geschoren, wenn dafür keine medizinischen Gründe vorliegen. Das zerstört die Fellstruktur. Ein Golden braucht sein Unterfell. Im Winter wärmt es, und im Sommer kühlt es. DAS solltest Du als Profi MINDESTENS wissen.“
Anke wollte gerade darauf antworten, doch ich bedeutete ihr mit einer Geste dass sie schweigen sollte. Ich war in Fahrt: „Wir brechen das jetzt hier ab. Du hast mir vorhin offensichtlich nicht zugehört. Für so einen Murcks zahle ich keinen Cent, damit das schon mal klar ist!“ Daraufhin nahm ich mir, ohne eine Entgegnung abzuwarten, meinen Hund und mein Kind und rauschte in unserem Kombi vom Hof als wäre der Leibhaftige hinter uns her.
Was vom Tage übrig blieb
(Drama 1993; Emma Thompson)
Ein schlechtes Gewissen, weil ich den Laden ohne zu Bezahlen verlassen hatte, hatte ich nicht. Anke hat deswegen auch nie versucht Kontakt mit mir aufzunehmen. Wie hätte sie das auf der Rechnung auch formulieren sollen? Einmal Rückentabularasa … oder, einmal Flugschneisen-Undercut … oder, einmal Ridgeparadox …?
Zuhause angekommen, fielen meine kleine Bewährungshelferin und ich aufs Sofa. Müde und erschöpft betrachteten wir unseren Hund. Finley lag unbeeindruckt und friedlich eingekuschelt auf seinem Lieblingssessel. Und während ich ihn betrachtete und mir überlegte, wie ich den Schaden am besten kaschieren könnte, sah ich vor meinem geistigen Auge, wie kleine Playmobil-Flugzeuge auf seinem Rücken starteten und landeten, starteten und landeten …..