Elvis im Handtaschen-Gefängnis
Neulich war ich einkaufen oder shoppen, wie man heute sagt. Ganz in der Nähe meiner Vorstadt haben wir ein riesiges Einkaufszentrum. Dort bekommt man alles, was das Herz begehrt – Gott sei Dank auch in allen Preisklassen. Dass ich mit meiner, nicht sehr pflegeleichten, 83jährigen Mutter unterwegs war, ist irgendwann mal einen eigenen Blog-Beitrag wert. Wir waren fast durch, mit unsrer Mammut-Tour, da hörte ich SIE…
„Pscht, psssscchhttt… Elvis ruhig… ausÄääälvisbitteee…Mensch, jetzt aber… pssscht!!!“
Verzweifelt sah sie aus, die junge Frau, die bei H & M in der Kassenschlange stand und auch ein wenig genervt. Sie war das, was mein Playboy-Nachbar Heimo wohl als eine orientalische Schönheit bezeichnen würde. Super durchgestylt, Topfigur, keine Angst vor kräftigen Farben … auch nicht im Gesicht. Ich bediene hier mal alle mir bekannten Vorurteile und nenne die Frau Soraya. Auf Sorayas Stirn bildete sich Schweiß, er rann langsam, der Schwerkraft folgend, das Gesicht herunter. Einige Schweißtropfen sammelten sich über der frisch aufgespritzten Oberlippe und verliehen ihrem frisch getünchten Gesicht einen nicht gewollten Glanz. Unter ihrer rechten Achsel klemmte eine sogenannte Citybag. Zur Erklärung für uns Dummytaschen-Trägerinnen: Eine Citybag ist das, was unsere Großmütter eine Handtasche nannten, nur im Kingsize-Format. Man kann im Notfall darinnen wohnen!
Diese Citiybag drückte sie mit dem Ellenbogen, im Dreivierteltakt-Rhythmus zusammen. Etwa so, wie es die schottischen Dudelsackspieler der Queen beim morgendlichen Weckruf mit dem Blasebalg ihres Dudelsackes machen. Immer wenn der Ellenbogen in Busennähe kam, hörte ich ein dumpfes Bellen. Das ganze klang in etwa so – Tadaadadapftttt!ÖffÖffÖffÖff … Tadaadadapfttttt!ÖffÖffÖffÖff … und so weiter… und so weiter …
Okaaayyy Birgit, dachte ich mir, die Tasche bellt!!! Ich übte Nachsicht mit mir, denn ich hatte einen Einkaufsmarathon mit meiner 83jährigen Mutter hinter mir. Abgesehen von drei scheußlichen, in bunten Tüten abgepackten Doch-das-steht-Dir-Birgits und einer Ich-hasse-Rüschen-Kapitulationserklärung, hatte ich den ganzen Tag noch nichts gegessen und viel zu viel Coffee-To-Go intus. Angesichts dieser Tatsachen waren Halluzinationen, wie eine bellende Citybag, eine willkommene Abwechslung.
Was soll ich sagen, die Kassenschlange war lang die H&M-Damen an der Kasse langsam. Ich sprach Soraya an. „Was hat sie denn“, fragt ich mit Blick auf die giftgrüne Tasche. Irritiert schaute sie mich an und sagte: „Das ist ein Junge und er will nicht still sein.“ Aus der Tasche erklang ein weiteres Tadaadadapfffttt!ÖffÖffÖffÖff. Mir schwante Böses. „Kann ich mal hineinsehen“, fragte ich besorgt. Soraya öffnete den Reißverschluss der Tasche und ein kleiner Chihuahua schaute hinaus und gab einen erleichterten Japser von sich.
„Lassen Sie den Hund doch mal aus der Tasche raus, dann beruhigt er sich vielleicht“, bat ich Soraya. „Aber die Tasche ist doch sein Zuhause“, sagte die orientalische Schönheit. Na klar, dachte ich bei mir, offensichtlich war Soraya eine Paris-Hilton-Jüngerin und hielt ihre Kunstledertasche für die natürliche Umgebung Ihres Hundes. Zweifelnd schaute ich sie an und fragte mich, wie ich mit vernünftigen Argumenten durch diese Instagram verseuchten Nebelschwaden, die um ihren Kopf herumwaberten, hindurch dringen konnte. Ihr ahnt es sicher, die Antwort lautet gar nicht!
Also versuchte ich Plan B, die Aktion „Free Elvis“ lief an. Schließlich musste diesem armen Hund geholfen werden. Ich sagte: „Also ich glaube ja, dass der Kleine ganz dringend pieseln muss. Aber die Tasche ist ja wasserfest, da läuft schon nichts raus.“ „Elvis, nein“, quietschte Soraya. Mit einem Griff packte sie den Minirüden an seinem Glitzergeschirr und setzte ihn auf den Boden. Elvis machte noch einige Male ÖffÖffÖffÖff… dann wurde er still und begann den Boden ab zu schnuppern. „Iiiigitt, Elvis lass das, das ist doch schmutzig“, schimpft ihn sein Frauchen aus. „Hunde machen sowas, der ist gerade total zufrieden, jetzt lassen sie ihn doch mal“, sagte ich zu ihr.
Soraya verzog angeekelt das Gesicht, ihr war sichtlich unwohl. Der mag SOWAS, schienen ihre Augen zu fragen. Ich setzte nach: „Chihuahuas sehen zwar klein und niedlich aus, sind aber im Grunde ganz kernige Kerlchen. Die wollen spielen und herumlaufen. Üben sie doch mal ein paar Tricks mit Elvis ein. Sowas wie Pfötchen geben oder lassen sie ihn Futter suchen. Dann bleibt er auf solchen Shopping-Ausflügen sicher auch ruhiger“, sagte ich zu ihr. Dann kam der Satz, von dem ich heute noch Albträume habe. Soraya versuchte ihre Botox unterspritzte Stirn zu runzeln, sie sah fast nachdenklich aus, und dann sagte sie mit Nachdruck: „Das kann seine Nanny mal mit ihm machen. Ich gehe lieber mit ihm shoppen.“
Ich hätte mich jetzt, angesichts der völlig fehlenden Einsichtsfähigkeit dieser Frau zurückhalten können und das Gespräch abbrechen können. Aber irgendwie war das Bedürfnis, die Situation für diesen kleinen Hund wenigstens auf marginaler Ebene zu verbessern, überwältigend groß. Dass ich das Folgende jemals sagen würde, hätte ich nur eine Stunde früher noch entrüstet von mir gewiesen: „Es gibt auch total hübsche Tragetaschen für kleine Hunde. Die sind atmungsaktiv, von innen abgepolstert. In so einer würde Ihr Elvis sich vielleicht wohler fühlen.“
Zweifelnd schaute sie mich an und sagte: „Gibt es die auch von Gucci oder Tommy Hilfiger?“ Und dann konnte ich nicht mehr an mich halten. „Nein aber von Herrn Glööckler! Meine Güte, er ist zwar klein aber doch ein ganz normaler Hund. Der will laufen, pinkeln, sich in Dreck wälzen und anderen Hunden am Po rumschnüffeln. Alles Sachen, die normale Hunde so machen. Ganz bestimmt will er nicht in einer potthässlichen Lederimitattasche wohnen. Er ist ein Lebewesen und kein seelenloses Schmuckstück. Was SIE brauchen, ist kein neues Geschirr und auch nicht den neuesten Mode-Trend aus dem Internet. Sie brauchen dringend eine Hundeschule und eine neue Einstellung zu Ihrem Tier. Dann kläfft der Hund auch nicht mehr das halbe Einkaufszentrum zusammen!“
Vernichtend sah Soraya mich an. Ihre Augen wanderten demonstrativ, zu meiner Frisur (sass nicht), über meine Fältchen im Gesicht (hart erarbeitet), zu meinem T-Shirt ( mit Print Sitz heißt Sitz) , dann weiter abwärts zu meinen Schuhen (flach aber Echtleder). Sie gab ein entrüstetes Schnauben *pühhh von sich und sagte: „Man kann einen Hund haben und trotzdem modisch aussehen!“ Sie schnappte sich Elvis, setzte ihn in sein giftgrünes Kunstledergefängnis und rauschte aus dem Ladengeschäft. Mein hinterhergeschmissenes : „Ja, oder man sorgt sich wirklich um seinen Hund….“ hörte sie wohl gar nicht mehr. Und von Ferne hörte man Elvis singen … TadaadadaPffft!ÖffÖffÖffÖff …. TadaadadaPffft!ÖffÖffÖff …
Nachtrag
Viel zu oft werden kleine Hunde aus den falschen Motiven angeschafft. Sie werden, weil sie klein und niedlich sind und auch ausgewachsen klein bleiben, oft nicht ernst genommen und zum Schmuckstück oder Modeaccessoire degradiert.
Für mich gehen Glitzergeschirre, funkelnde Halsbänder und hübsche Mäntelchen immer so lange in Ordnung, wie sie den natürlichen Bedürfnissen dieser Hunde nicht im Wege stehen. Herrchen und Frauchen sollen ja auch Spaß haben. Allerdings darf man nicht außer acht lassen, dass diese Hunde auch laufen wollen, spielen wollen, etwas lernen können, andere Hunde kennenlernen wollen, schnüffeln wollen und so weiter und so weiter ….
Oder frei nach John F. Kennedy: „Frage nicht danach, was Dein Hund für Dich tun kann. Frage danach, was Du für Deinen Hund tun kannst.“