Frau Nörgel, ein Blümchenpyjama und ein Fitnessguru
Finleys Unterhaltungsprogramm zum Wochenende
Die Stille genießen – nicht bei uns
Manchmal gehen Finley und ich auch am Samstag ganz früh raus. Um 6.30 Uhr liegt unsere Siedlung noch im Tiefschlaf. Wenn wir dann schläfrig durch unseren Garten gehen, herrscht eine ganz ruhige, friedliche Stimmung. Das sonst eher leise Quietschen unserer Gartenpforte erscheint dann plötzlich störend laut.
Doch dieses Mal wurde die Stille von einem anderen Geräusch unterbrochen. „Aaaaahhhh….“, dröhnte es über den Bonanza-Zaun. Finley und ich zuckten zusammen. Das war nicht unsere Pforte gewesen, nein das Stöhnen kam eindeutig aus dem geöffneten Panoramafenster meiner Nachbarin Frau Nörgel. Die Gardinen waren zurückgezogen und die Laute, die in den jungfräulichen Morgenhimmel entwichen, hörten sich sehr gequält an.
Frau Nörgel, für diejenigen, die sie noch nicht kennen, ist meine Nachbarin und meine persönliche Vorstadt-Nemisis. Sie hat uns alle, insbesondere mich, unter Wind und ist sofort am Zaun, wenn ihrer Meinung nach, etwas aus dem Ruder läuft in unserer Siedlung. Dabei ist es ihr total gleichgültig, ob sie die Geschehnisse etwas angehen oder nicht. Weitere Geschichten, in denen Frau Nörgel eine Rolle spielt, findet ihr am Ende dieses Artikels.
Ein ganz besonderes Panorama am Fenster der Nachbarin
Doch zurück zum Samstagmorgen. Finley tappelte unruhig auf seinen Pfoten hin und her. „Fiiiebwer, Seufzwas, Grummelwohin, sollichhelfennnn …“, schnaubte er verwirrt. Er überlegte wohl kurz, ob er versuchen sollte, mit einem großen Satz durch Frau Nörgels Fenster zu springen. „Warte mal kurz, mein Dicker“, sagte ich, „ich schau mal nach, was da los ist.“ Langsam schlich ich mich an das nörgelsche Panoramafenster heran und wagte einen scheuen Blick ins Wohnzimmer.
Eightys-Revival im Wohnzimmer
Wow! Was ich dort erblickte, machte mich sprachlos. Ich hatte alle Mühe ein Kichern zu unterdrücken. Frau Nörgel kniete vor ihrem Fernseher und war in das Morgenprogramm eines Lokalsenders vertieft. Ich sah einen Mann in Boxershorts, Muscle Shirt, weißen Socken und Sportschuhen. Fokuhila-Frisur und Stirnband deuteten darauf hin, dass es sich um eine etwas ältere Sendung handelte. „Hacke, Spitze, Hacke, Spitze“, skandierte der Mann. Hinter ihm hüpften vier stark geschminkte, blond gelockte Damen in pinkfarbenen Sportklamotten auf und ab.
Fitness in den Achtzigern – einfach gnadenlos
„Ja-das-soll-wehtun, das-soll-ziehen-und-brennen…“, feuerte Fokuhila-Joey seine Mädels und meine Frau Nörgel an. Offenbar war der Mann sadistisch veranlagt, anders konnte ich mir seine Worte nicht erklären. Wie wäre es denn mal mit, „hey, das soll Euch Spaß machen“ und „passt auf, dass Ihr nicht kollabiert“? Frau Nörgels Gesichtsfarbe hatte inzwischen ein strahlendes Pflaumenblau angenommen und auch bei den blonden Schönheiten im TV konnte das perfekte Achtziger-Jahre-Make Up nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass ihre Körper komplett übersäuert waren. Das alles kommentierte der gnadenlose Fitness-Frontman mit einem lapidaren: „Tja, meine Damen – von nichts kommt nichts.“
Cool down, Atemtechniken, alles gut
aber beim Outfit ist noch Luft nach oben
Immer zuerst an das Gute im Menschen glaubend, ging ich erst einmal davon aus, dass es sich hier tatsächlich nur um Frühsport handelte, so wie man das in den achtziger Jahren eben gemacht hatte. Jetzt erst bemerkte ich Frau Nörgels Outfit – einen hellblauen Blümchenpyjama, Model „Stretch 2006, Frühlingsfrische rund ums Jahr“.
Ich lehnte mich kurz an Frau Nörgels weiß gestrichene Hauswand atmete durch und versuchte mit aller Kraft nicht los zu prusten. Aus dem Fenster drang psychedelische Musik. Es ging einfach nicht anders, ich musste noch einen Blick riskieren. Der Marquis de Sade der Fitnesswelt war offenbar am Ende seines Trainings angelangt. Er versuchte nun, den Puls seiner Probandinnen mit ein paar gezielten Atemübungen, wieder auf ein Normalmaß zurückzubringen. „Aaatmeeet in Eure Mitte, in den Bauch, durch die Beine, iiin Eure Füße hinein“, umschmeichelte seine Stimme die völlig ausgelaugten Frauen.
Obidience für Vorstadtrentner
Frau Nörgel war hochkonzentriert, sog mit aller Kraft, Luft in Ihre Lungen hinein und wartete auf weitere Anweisungen vom Fokuhila-Joey. So aufgebläht, bemüht den eingeatmeten Sauerstoff, den Anweisungen gemäß in ihre Füße zu pumpen, stand sie da und wartete und wartete und wartete …
Ich fing langsam an mir Sorgen zu machen, meine Nachbarin wirkte nicht sehr entspannt, eher verkrampft.
Endlich hatte der Fitnessmensch ein Einsehen und erlöste die arme Frau, kurz bevor sie explodieren würde: „Jetzt klappen wir zusammen und stoßen die ganze Luft in unserem Körper nach draußen.“
Frau Nörgel, gehorchte ohne zu zögern. Blitzschnell kippte sie nach vorne. Dabei streckte sie ihren geblümten Allerwertesten in voller Pracht Richtung Panoramafenster. Obidience für Vorstadtrentner, bei dem Tempo war Frau Nögel sicherlich eine heiße Anwärterin auf den Meistertitel. Sie atmete schwer, stöhnte und seufzte herzzerreißend und wiederholte den ganzen Vorgang mehrere Male.
Finley will Genugtuung
Finley stupst mich an: „Los sag‘ schon, was ist da los?“ Geduld war ja noch nie seine Stärke. „Also, Frau Nörgel steht im Blümchenpyjama vor dem Fernseher und streckt den Hintern zum Fenster raus“, fasste ich das Geschehen, nicht ganz detailgetreu, für meinen Rüden zusammen.
Finley verzog das Gesicht. Dann sagte er entrüstet: „Na die ist gut. Bei jedem Haufen, den ich in Sichtweite absetze, flippt sie total aus und jetzt streckt sie uns ihren Popo entgegen?“ Und weiter: „Das ist doch eindeutig unerwünschtes Verhalten, Birgit. Das sollten wir nicht positiv verstärken!“
Ich will ja nur ihr Bestes…
Ich dachte kurz nach. Ich hätte jetzt leise abtreten können. Hätte ein paar Restbestände Empathie zusammenkratzen können und still wie ein Mäuschen in meinem Bau verschwinden und mein Blümchentrauma mit einem heißen Kaffee herunterspülen können. Tja, was soll ich sagen … es ging einfach nicht. Finley hatte es auf den Punkt gebracht. Nach allem, was wir mit Frau Nörgel schon erlebt hatten, war es da nicht unsere Verpflichtung, sie nicht einfach diesem Folterknecht der Aerobic-Szene zu überlassen? *Unschuldsaugenaufschlag
Frau Nörgel, ich bin für Sie da …
Leise, ganz leise habe ich mich zurück zu Frau Nörgels Panoramafenster geschlichen, ihren geblümten Hintern fest im Blick. Dann habe ich wirklich alles, was ich an Theatralik und Pathos in mir finden konnte, in meine Stimme gelegt und entsetzt gerufen: „Frau Nörgel, brauchen Sie Hilfe, ist ihnen schlecht? … Kann mir jemand helfen – Frau Nörgel ist zusammengeklappt! Mein Gott, Sie röcheln ja …“
Frau Nörgel schoss hoch wie ein vom Bogen geschossener Pfeil. Der Kopf dunkelrot angelaufen, die Mireille-Matthieu-Frisur derangiert, blickte sie sie mir panisch ins Gesicht. „Pssschhhhttt“, machte Frau Nörgel und ruderte dabei mit den Armen, „leise … nein alles … ich mache doch nur … also Frühsport mit dem WDR … das ist für die Fitness … trotzdem danke … äh, wie nett … ähäm, ja dann mache ich mal … ich war ohnehin fertig …“
„Na Gottseidank, dann ist ja alles gut“, sagte ich mit Unschuldsblick. Dann ließ ich meinen Blick zum Abschied noch einmal genüsslich über Frau Nörgels Blümchen-Alptraum gleiten und verabschiedete mich formvollendet.
„Oh, what a beautiful mornin‘, oh what a beautiful day
I got a beautiful feelin‘ everything’s goin‘ my way …“
(Frank Sinatra)
„Es gibt Samstage, die könnten nicht besser beginnen, was Finley“, sagte ich lächelnd zu meinem Dicken.
„Hihihiii … das kann man wohl sagen. Manchmal ist das Leben doch gerecht“, antwortete mein Schlingel und pieselte gegen Frau Nörgels Rhododendron. Dann gingen wir Zwei fröhlich in den Wald und atmeten ganz tief in unsere Mitte, in den Bauch, durch die Beine, in unsere Pfoten … äh, Füße hinein …
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